Kritische Materialveränderungen und Alterungsprozesse elektronischer Komponenten
Alterungsprozesse:
Verschiedenste Alterungsprozesse beeinträchtigen bei normaler Lagerung sowie im Stickstoff-Dry-Pack bereits nach zwei Jahren die Funktionalität (z. B. Daten- und Kapazitätsverluste, Leckströme) und Verarbeitbarkeit (beispielsweise während des Lötprozesses) elektronischer Komponenten.
Sämtliche Alterungsprozesse sind während einer Langzeitlagerung unbedingt zu beachten und durch geeignete Maßnahmen abzusichern.
Diffusionsprozesse
Diffusion ist ein physikalischer Prozess, bei dem sich zwei oder mehrere Stoffe zunehmend vermischen. Die Diffusion beruht auf der thermisch motivierten Eigenbewegung von Teilchen; und zwar Atomen, Ladungsträgern oder Molekülen. Ist die Verteilung dieser Teilchen ungleichmäßig, dann bewegen sich mehr Teilchen aus den Gebieten mit hoher Konzentration in Gebiete mit niedriger Konzentration als umgekehrt. Diesen Transport von Teilchen nennt man Diffusion. Es werden also aufgrund der Wärmebewegung Konzentrationsunterschiede bis zur vollständigen Durchmischung (bzw. Ausgleich) abgebaut.
Diffussionsprozesse am Beispiel des intermetallischen Phasenwachstums an Bauteilanschlüssen
Diffundiert zum Beispiel bei einem Anschlusspin das Trägermaterial Kupfer oder Kupfereisen in das Zinn, dann entsteht ein ganz neues Material das bronzeähnlich ist (intermetallische Phase). Gelangt diese Durchmischung bis an die Oberfläche, ist ein Verlöten nicht mehr möglich, denn intermetallische Kupfer-Zinn-Phasen weisen Schmelzpunkte von über 400°C auf, die bei typischen Lötprozesstemperaturen von 240 °C bis 280 °C nicht mehr aufgeschmolzen werden können. Das Zinn verbindet sich nicht mehr mit dem Kupfer des Pin-Trägermaterials; die Lotkontaktstelle ist damit löttechnisch nicht mehr zu aktivieren.
Die Diffusion erfolgt selbständig und ohne jegliche fremde Energiezufuhr mit Ausnahme der Temperatur. Der Diffusionsstrom (Ladungsträgerstrom) tritt auch bei Halbleitern am PN-Übergang auf und ist abhängig von der Temperatur, dem Material, der Art der Ladungsträger sowie Konzentrationsunterschieden in der Dotierung der Halbleiter (N- und P- dotierte Bereiche). Durch den Diffusionsstrom entsteht hier zusätzlich ein elektrisches Feld, das einen gegen den Diffusionsstrom fließenden Driftstrom bewirkt, der mit der Zeit zunimmt bis sich schließlich Diffussions- und Driftstrom im Gleichgewichtszustand (stationärer Zustand) vollständig kompensieren.
Diffusion ist also ein thermisch aktivierter Prozess bei dem der Ladungsträgertransport umso schneller wird, je höher die Temperatur ansteigt.
Diffusion findet auch im Bauteilinneren, also auf Chipebene, statt und kann verschiedenste Ursachen und Auswirkungen haben.
Diffusionsgleichungen:
- Erstes Fick‘sches Gesetz
- Zweites Fick‘sches Gesetz
- Arrhenius-Gesetz
Alterung durch Feuchte und Sauerstoff (Korrosion und Oxidation)
Der in konventionellen Stickstoff-Dry-Packs enthaltende Restsauerstoff und möglicherweise vorhandene Feuchtigkeitsgehalt führt zu Oxidations- und Korrosionsprozessen an Bauteilanschlüssen und Kontaktoberflächen bzw. Bond Pads bei Bare-DIEs und Wafern. Zuverlässige Löt- oder Bondverbindungen sind somit nach einiger Zeit erschwert, teilweise sogar unmöglich.
Alterung durch Schadstoffe
Ausgasungen von z. B. Additiven wie Weichmachern, Flammschutzmitteln, Lösungsmitteln aus Kunststoffkomponenten oder aus Umverpackungen können zur Korrosion von Bauteilanschlüssen und Kontaktoberflächen führen und damit die Lötbarkeit der elektronischen Komponenten negativ beeinträchtigen.
Steckverbinderbuchsen – äußerlich ok, aber was verbirgt sich hinter der Metallabdeckung?
Derartige Problematiken verhindert das HTV-TAB® Verfahren u. a. durch den Einsatz speziell angepasster Schadstoff-Absorptionsmaterialien, die potenziell ausgasende Schadstoffe binden. Hierdurch wird nachhaltig eine Wechselwirkung der Schadstoffe mit den Komponenten, wie es in den oberen Beispielen zu sehen ist, verhindert.
Analysen von belastetem Schadstoff-Absorptionsmaterial nach unterschiedlichen Lagerzeiten mittels GC-MS (Gaschromatografie mit Massenspektrometrie) zeigen, dass bereits nach 3 Jahren in einem Standard-Drypack mit BGA-Bauteilen eine hohe Belastung mit Schadstoffen wie z. B. Styrol, Toluol, Ethylbenzol, Xylol sowie weiteren aromatischen und aliphatischen Kohlenwasserstoffen vorliegt.
Whiskerbildung
Die Ausbildung von Whiskern (feinste einkristalline Zinnnadeln), häufig resultierend aus mechanischen Spannungen innerhalb der auf dem Leadframe meist galvanisch aufgebrachten Zinnschichten, Korrosions- und Oxidationsschichten auf der Zinnoberfläche oder intermetallischem Phasenwachstum, führt zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Funktionalität elektronischer Komponenten. Durch Whisker können Kurzschlüsse zwischen Bauteilanschlüssen und ggf. Fehlfunktionen und Bauteilschädigungen entstehen.
Zinnpest
Silberweißes, metallisches β-Zinn kann sich unterhalb von 13,2 °C in das grauschwarze α-Zinn umwandeln, das über eine andere Kristallstruktur und Dichte verfügt. Da α-Zinn ein größeres Volumen als β-Zinn besitzt, verliert das Material seine Integrität, die Kornstruktur löst sich auf und es entsteht Zinnpulver, das löttechnisch nicht mehr zu aktivieren ist.
Alterungsprozesse bei Baugruppen
Aufgrund der enormen Typenvielfalt und Kombinatorik der Einzelkomponenten zeigen Baugruppen häufig zusätzliche Alterungseffekte, welche die ordnungsgemäße Funktionalität der gesamten Baugruppe gefährden können. Gerade während einer Langzeitlagerung können bereits Ausgasungen aus den verwendeten Lacken und Vergussmassen sowie Rückstände aus dem Lötprozess zu Korrosion und Oxidation an bestückten Komponenten führen. Zusätzlich besteht bei Kondensatoren (insbesondere bei Elektrolytkondensatoren) das Risiko, dass sie während der Lagerung ihre Kapazität ändern oder den Leckstrom erhöhen, was den Totalausfall und damit die Zerstörung der gesamten Baugruppe zur Folge haben kann. Bei LC-oder OLED-Displays ist im Rahmen der Alterung eine signifikante Veränderung der optischen Eigenschaft möglich.